Wanderbewegungen im Wandel der Zeit

„Wanderbewegungen hat es schon immer gegeben“. Diesen zentralen Satz nahmen die Mitglieder
des Heimatbunds Bremervörde-Zeven am Sonntag bei der ersten Veranstaltung nach
eineinhalbjähriger coronabedingter Pause mit in den Abend. Der Vorstand hatte den Spezialisten für
historische Wanderbewegungen Dr. Horst Rößler aus Bremen zu einem Vortrag eingeladen. Auch für
den Referenten war der Nachmittag im Selsinger Hof es die erste Präsenzveranstaltung seit Langem.
Wanderbewegungen sind seit Jahrhunderte selten spontan, sondern folgten häufig demselben
Muster: Eine Berufsgruppe oder ganze Familien aus einer bestimmte europäischen Gegend machte
sich regelmäßig in eine bestimmte andere Gegend auf, um dort ihre Waren oder Dienstleistungen
anzubieten oder sich dort niederzulassen.
Ob Scherenschleifer, die ihre Dienste auch als Kesselflicker anboten, Korbflechter,
Mausefallenhändler, Kurzwarenhändler, Musikanten: Slowaken aus dem nördlichen Ungarn,
Deutsche aus dem Oberen und Unteren Eichsfeld und vielen anderen Gegenden kamen in das ElbeWeser-Dreieck, um der dortigen Armut und geringen Verdienstmöglichkeiten in der Heimat mit dem
geringen Zubrot entgegenzuwirken. Bevorzugte Reisemöglichkeit war zu Fuß, immer mit Waren oder
Instrumenten beladen, mal einer Geige, aber auch mit Harfen oder gar Drehorgeln. Waren oder
Dienstleistungen waren von den Behörden immer als notwendig angesehen, dennoch standen fast
alle Wanderarbeiter und -handelnde unter Generalverdacht der Bettelei. Mit Hilfe von Pässen und
Konzessionen wurde genau geregelt, wer sich wann an welchem Ort aufhalten und dort versuchen
durfte, Geld zu verdienen. Manche Personen kamen über Jahrzehnte immer wieder.
Und nicht nur ledige oder ältere Männer, sondern Männer jeden Alters und auch Frauen jeden Alters
oder ganze Familien kamen und vertrieben Waren. Man mietete sich teilweise unter sehr
bescheidenen Verhältnissen ein, um Waren zu lagern oder zu produzieren und konnte so auch
mindestens vorübergehend einen Wohnsitz vorweisen, der bei Kontrollen durch die Obrigkeit ein
gutes Argument gegen den Vorwurf der Landstreicherei war.
Nach anfänglichen technischen Schwierigkeiten beim Heimatbund ließ sich der Computer doch dazu
bringen, Tondateien wiederzugeben, und so konnte Dr. Rößler den kurzweiligen Vortrag nicht durch
zeitgenössische Abbildungen, sondern auch durch Musikstücke auflockern. Mit „Muss i denn“,
gespielt von einer Blaskapelle, klang der informative Nachmittag aus.